Im Wohnheim Niederstraße müssen zunehmend psychisch Kranke aufgenommen werden, die ihre Wohnungen verloren haben. Das sorgt für Ärger in der Nachbarschaft.
Sebastian Müller sorgt sich um das Seelenheil seines Sohnes. Seine Familie wohnt in Nähe des Übergangsheimes auf der Niederstraße und wird eigenen Angaben zufolge fast täglich mit dem nicht nur für Kinder beängstigenden Verhalten einiger der Bewohner konfrontiert. Ein älterer Mann spucke und pöbele Passanten an, schreie Nazi-Parolen, eine Bewohnerin bewerfe vorbeifahrende Autos mit Steinen, ein junger Mann entblöße sich und demoliere Mülltonnen. Einmal sei eine verwirrte Bewohnerin in sein Haus eingedrungen. Ein Schockmoment. Die Polizei sei gefühlt drei Mal am Tag vor Ort, berichtet Müller. „Aber Polizei und SKFM tun nichts”, behauptet er. Seine Gesprächsgesuche bei der Stadt blieben unbeantwortet. „Mein Sohn hat sein Trauma schon weg.“
„Unsere beiden Mitarbeiter vor Ort sind immer ansprechbar und gehen auch aktiv auf die Nachbarschaft zu”, sagt Caspar Offermann, Geschäftsführer des SKFM. Sein Verein ist mit der sozialpädagogischen Begleitung der Heimbewohner betraut. Offermann räumt ein, dass sich seit anderthalb Jahren die Bewohnerstruktur im Übergangswohnheim stark verändere.
Infolge der allgemeinen Wohnungsknappheit gelangten immer mehr chronisch psychisch kranke Menschen, die aus dem Hilfssystem herausgefallen seien, dorthin. Viele hätten aufgrund ihrer Suchterkrankung, Persönlichkeitsstörung oder psychotischen Erkrankung ihre Wohnung verloren. Sie seien wegen ihrer Verhaltensauffälligkeiten oft sogar für therapeutische Einrichtungen nicht mehr tragbar. „Hilfsangebote wie Betreutes Wohnen können aber nur in Anspruch genommen werden, wenn man eine Perspektive auf eigenen Wohnraum hat”, erläutert Offermann den Teufelskreis.
Insgesamt treffe hier das Problem Wohnraummangel auf ein ohnehin überlastetes Hilfssystem. Auch gut situierte Menschen warten oft monatelang auf Therapiestunden. Deshalb ziele das Projekt „Obdachlosigkeit verhindern“ der SKFM vor allem auf Prävention.
Wenn dann im Heim ein psychisch Kranker auf andere und dann auch noch auf zurechnungsfähige, aber gewaltbereite kriminelle Bewohner träfe, steige das Konflikt- und Gewaltpotenzial massiv an. „Es handelt sich ja um Menschen mit vermindertem Empathieempfinden, die die Bedürfnisse des Gegenübers nicht wahrnehmen, dafür aber zu einer sehr vehementen Mitteilung der eigenen Bedürfnisse neigen”, erklärt Offermann. Dadurch seien potenziell auch seine beiden männlichen Mitarbeiter gefährdet.
Bis vor einigen Monaten betreuten Frauen die Heimbewohner. „Wir haben die Begleitung personell umstrukturiert, weil die Frauen aufgrund der Eigengefährdung nicht mehr in der Lage waren, sozialpädagogisch in die Tiefe zu gehen”, erklärt Offermann. Sven Palentin und Dominik Hellpointer indes hätten in ihrem Arbeitsleben schon viel Erfahrung im Umgang mit psychisch kranken Patienten erworben und seien daher in der Lage, Nähe zu den Bewohnern aufzubauen.
Das ändere aber nichts an dem auf kommunaler Ebene schwer lösbaren Grundproblem: Diese Menschen bräuchten psychiatrische Hilfe. Weil sie sich dessen bewusst seien, provozierten sie zuweilen ihre Zwangseinweisung, sagt Offermann: „Es ist ihre einzige Handlungskompetenz, eine Eskalation herbeizuführen.” Nur laufe das Prozedere dann immer nach demselben Muster ab. Die LVR-Klinik sage: Nach dem Psychiatrie-Gesetz haben wir keinen Verwahrauftrag mehr. Die Eingewiesenen würden mit Medikamenten behandelt, man führe ein Gespräch, dann folgt die Entlassung – ohne Überleitung in ein Hilfsangebot. Die Patienten landen wieder im Übergangswohnheim und wenn die Sedierung nachließe, fingen die Probleme von vorne an. „Wir sind jetzt im Austausch mit der Klinik, damit das Entlassmanagement besser wird und wir informiert werden”, sagt Offermann. Zudem sei man mit der Stadt in ständigem Dialog, um den Fortbestand des Sicherheitsdienstes zu sichern.
Durch die Installation eines Obdachlosencafés sei es nunmehr gelungen, so etwas wie Nähe zu schaffen. „Da sitzen jetzt lauter Einzelkämpfer zusammen und nehmen sich immerhin wahr”, sagt Offermann. Er würde sich eine Lösung auf Kreisebene wünschen: eine zentrale Unterbringung mit therapeutischer Anbindung.
Kontakt zu Sven Palentin und Dominik Hellpointer unter Telefon: 02173 956960/-61
Quelle: Rheinische Post
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